Ein Bravourstück der Evolution: Der lange Weg zum Pferd

von Armin Basche | Von weither ist das Pferd zu uns gekommen. Wer das Glück der Erde auf seinem Rücken genießt oder sich in den Arenen des Sports von ihm begeistern läßt, denkt aber sicherlich nicht daran, wie es zu dem wurde, was es heute ist – und welche unvorstellbar lange Reise seine Vorfahren durch längst versunkene Welten dabei hinter sich gebracht haben. Den mühevollen, mitunter in Sackgassen führenden, aber schließlich triumphalen Weg beschritt als erstes ein Wesen, das nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem Tier besaß, das fast Äonen später zum Equus caballus wurde. Denn auf dem Reißbrett der Schöpfung entstand auch das Pferd nicht als fertiges Konstruktions-Modell.

prähistorische Darstellung von Pferden

Die wohl schönsten prähistorischen Pferde- Darstellungen stammen aus der 1940 in der Dordogne entdeckten Bilder-Höhle Lascaux, der berühmtesten „Gemäldegalerie“ der Eiszeit. Durch die Fellfärbung ist ein deutliches „M-artiges“ Muster zu sehen, das auch beim Przewalski-Pferd zu erkennen ist. Die in voller Bewegung befindlichen Pferde sind vor ca. 17 000 Jahren gemalt worden!

Bildquelle: Ministerium der Republik Frankreich f. Kultur und Kommunikation, Region Rhone-Alpes, Abt. Archäologie

Ungefähr so groß wie ein Hase war sein frühester Ahne, der vor rund 55 Millionen Jahren blätterfressend durch das sumpfige Unterholz des Tertiärs schlüpfte. Genauer gesagt des Eozäns, der zweitältesten Stufe dieses Erdzeitalters. Daher wurde die Urform des Pferdestammes von einigen Wissenschaftlern als Eohippus bezeichnet. Auch „Pferdchen der Morgenröte“ wird sie schon mal genannt – in Anlehnung an die griechische Vokabel „eos“, mit der bei den alten Hellenen die „rosenfingrige“ Göttin des beginnenden Tages gemeint war. Erste Hinterlassenschaften von ihm wurden bereits vor mehr als 170 Jahren rein zufällig ausgebuddelt. Dabei handelte es sich freilich nur um unscheinbare Hinweise seiner ehemaligen Existenz. „Es war nur ein kleiner Zahn, den ein Ziegelbrenner namens William Colchester 1838 in England in einer Tongrube bei Woodbridge in Suffolk fand. Hinzu kam ein Jahr später der größere Teil eines Schädels mit gut erhaltenen Zähnen eines etwa hasengroßen Tieres, den ein anderer Engländer, William Richardson, bei naturkundlichen Studien in der Nähe von Studd Hill an der Küste von Kent entdeckte,“ beschreibt Dr. Jens Lorenz Franzen in seinem Buch „Die Urpferde der Morgenröte“ die für die stammesgeschichtliche Entwicklung des Pferdes so wichtige Entdeckung. „Beide Funde gelangten in die Hand von Sir Richard Owen, dem späteren Leiter der naturwissenschaftlichen Abteilung des Britischen Museums in London. Owen erkannte, daß die Funde zur selben Art gehörten. Er beschrieb sie 1840 unter dem wissenschaftlichen Namen Hyracotherium leporinum, zu deutsch das hasenartige Klippschiefertier. Daß er nach unserer heutigen Anschauung die Überreste des rund 55 Millionen Jahre alten Stammvaters aller jetzigen und fossilen Pferde in der Hand hielt, erkannte Sir Richard aber nicht“, fährt der renommierte Paläontologe fort.

Der Urvater aller Equiden lebte in einer Zeit, in der es auf dem Globus noch nicht so aussah wie heutzutage. Unter anderem war Europa ein teilweise überfluteter Insel-Archipel mit tropischem Klima und vom heutigen Umriss noch weit entfernt. Die Alpen hatten ihre Ausformung zu einem 1.200 Kilometer langen Gebirgsmassiv noch vor sich und die Vorfahren des Menschen befanden sich auf der Entwicklungsstufe von Halbaffen. Außerdem waren der europäische Kontinent und Nordamerika in der Höhe von Spitzbergen noch durch die
sogenannte De-Geer-Landbrücke miteinander verbunden.

Auf der etwas weiter südlich gelegenen Thule-Landbrücke wanderte das Hyracotherium von Europa schließlich in die spätere Neue Welt, wo sich aus ihm verschiedene andere Gattungen entwickelten. Auch in seinem europäischen Verbreitungsareal war das der Fall. In ihm tauchte vor ungefähr 49 Millionen Jahren neben zwei anderen Urpferdchen auch der nur foxterriergroße Eurohippus auf. In den Abraumhalden der Evolution hat sich der equine Knirps als Fossil so gut erhalten, daß wir seinen Skelettaufbau erstaunlich genau kennen.
Zum Beispiel besaßen seine Extremitäten je vier winzige Hufe an den Vorder- und drei an den Hinterbeinen. Insgesamt also vierzehn - die außerdem noch von verschiedener Größe waren – anstelle der heutigen vier. Der Ort, an dem versteinerte Überbleibsel so früher Pferde in geradezu unglaublicher Qualität und Vielzahl ihrer katakombischen Existenz entrissen werden konnten, ist die Grube Messel, ein ehemaliger Ölschiefer-Tagebau in der Nähe von Darmstadt. Es ist die berühmteste Urpferd-Fundstelle der Welt – und sozusagen das Epizentrum und Mekka der diesbezüglichen Forschungen! 1975 wurde dort bei Grabungen des Frankfurter Senckenberg-Instituts von Dr. Franzen der erste Eurohippus als Schatz der besonderen Art aus dem verfestigten Schlick der Frühzeit gehoben. Inzwischen wurden in Messel nicht weniger als 60 mehr oder weniger vollständige Skelette von Urpferdchen aus dem Eozän Mitteleuropas geborgen – darunter auch trächtige Stuten und Fohlen - deren Erhaltung bei einigen Exemplaren im wahrsten Sinne des Wortes bis zu den Haarspitzen reicht. Dank ganz moderner Raster-Mikroskope konnte sogar Darminhalt nachgewiesen und analysiert werden. Unglaublich erscheint deshalb immer noch der von provinzieller Borniertheit gekennzeichnete Plan, ausgerechnet diese Stelle, um die uns die ganze Welt beneidet, zu einem gigantischen Mülleimer für das gesamte Rhein-Main-Gebiet zu machen! Erfreulicherweise endete die fast 25 Jahre andauernde Debatte mit Pro und Contra dank der Hilfe unzähliger Menschen auf der ganzen Welt positiv für Messel und
die Wissenschaft. Heute gehört diese Schatztruhe der erdgeschichtlichen Vergangenheit als einmalige Quelle der Erkenntnis zum Weltnaturerbe der Menschheit. Auf deutschem Boden ist es bisher übrigens das einzige!

prähistorische Darstellung von Pferden

Der etwa foxterriergroße EUROHIPPUS ist der häufigste unter den aus der Grube Messel geborgenen Urpferdchen. Mit einem Stockmaß von nur 30 – 35 cm gehört der equine Knirps zur kleinsten Urpferdeart der berühmten Fundstätte.

Bildquelle: Hessisches Landesmuseum Darmstadt

Fossilien von Urpferden wurden im Laufe der Zeit aber auch noch in anderen Gegenden gefunden. Vor allem in Nordamerika, wo der Hauptstamm der späteren Art entstand. Dadurch wurde dieser Teil der Welt zum Laufsteg der Equiden-Entwicklung - denn zeitweise gab es dort 13 Typen urtümlicher Pferde! Von jener Bühne wanderten dann sowohl einige Urformen als auch ein frühes Modell der Gattung Equus über die am Nordrand der Beringsee gelegene Landbrücke in die Alte Welt aus, während in der ehemaligen Heimat mit Equus lambei und Equus occidentalis die dort zuletzt entstandenen Verwandten nicht lange nach dem Ende der Eiszeit vor etwa 8.000 Jahren ausstarben. Pferde betraten Nordamerika erst wieder im 16. Jh. mit den spanischen Conquistadoren, die den Südwesten des Kontinents nach seiner Entdeckung durch Christoph Columbus, bezw. Amerigo Vespucci beutelüstern durchstreiften. In der Neuen Welt ist vom eigentlichen Urpferdchen bis jetzt übrigens nur ein Skelett ähnlichen Alters und Qualität der Erhaltung wie in Messel gefunden worden. Von anderen Erdteilen liegen überhaupt keine Erfolgsmeldungen vor. Dafür förderte man hierzulande Überreste von Eurohippus & Co. auch im Geiseltal bei Halle a. d. Saale sowie im Eckfelder Maar in der Eifel zutage.

Alle gleichen sich in Körperbau und Lebensweise. Es waren Tiere mit einem Stockmaß von 30 bis 50 Zentimetern, gedrungenem Hals, kurzen Beinen und einer gekrümmten Wirbelsäule, wie man sie auch bei Ducker-Antilopen sieht. Der Schweif war mittelllang und endete in einer Quaste. Am Ende des Eozäns starben diese Tiere in Europa aus – und die Entwicklung des Pferdes setzte sich vor 35 Millionen Jahren ausschließlich in Nordamerika fort! Angetrieben durch Umweltveränderungen arbeitete die Evolution mit der ihr eigenen Gemächlichkeit weiter an seiner Entstehung. Da man ihr mittlerweile gut in die Karten schauen kann, wissen wir, was damals passierte. Durch trockeneres Klima breiteten sich Graslandschaften aus, während Waldbereiche gleichzeitig zurückgingen. Darauf reagierten auch die frühen Pferde. Epihippus, Mes ohippus und Miohippus entstanden. Sie waren bereits etwas größer als ihre Vorfahren und besaßen einen weniger gekrümmten Rücken. Außerdem waren Beine, Hals und Schädel länger. Die wichtigste Veränderung für ein Lauftier fand jedoch an den Extremitäten statt, an denen sich nun vorn wie hinten nur noch drei Hufzehen befanden. Mehr noch: die beiden äußeren Zehen waren verkürzt und kamen nur bei schneller Gangart oder großer Fußbelastung als zusätzliche Stütze zum Einsatz. Bei normaler Fortbewegung benutzten die „Dreizehenpferde“ an allen vier Beinen nur eine Zehe oder einen Huf – womit ein wichtiger Schritt zum Zehenspitzen-Gänger oder Einhufer vollzogen worden war. Mit dieser Entwicklung erfolgte bei einigen Gattungen auch eine Veränderung des Gebisses, dessen Kauwerkzeuge sich ebenfalls den ökologischen Gegebenheiten anpaßten und schließlich zu hochkronigen Backenzähnen mit komplizierten und daher wirkungsvolleren Reibflächen auswuchsen.

So ging das nun eine ganze Weile weiter – bis sich vor 22 Millionen Jahren der Equiden-Stamm in grasäsende und blattfressende Typen wie dem bis zu einem Meter großen Jahren der Equiden-Stamm in grasäsende und blattfressende Typen wie dem bis zu einem Meter großen Merychippus und dem Anchither ium aufspaltete. Mit Letzterem wanderten Pferde über Asien auch wieder nach Europa ein, wo es etwa 16 Millionen Jahre lang überhaupt keine gegeben hatte. Vor ungefähr 11 Millionen Jahren folgte dem Anchitherium das ebenfalls dreizehige Hippotherium, das bereits eine wesentlich gestrecktere Wirbelsäule besaß als alle bisher genannten Entwicklungsformen. Es hat sich auch in unseren Landen aufgehalten; denn am Höwenegg in der Nähe von Tuttlingen wurden dreizehn Skelette von ihm gefunden. 1 Million Jahre später als das Hippotherium traf mit dem Hipparion ein weiteres Dreizehen-Pferd in Europa ein, das sich bis nach Afrika ausbreitete. Das beweisen auch die ca. 3.6 Millionen Jahre alten Fährten einer Hippar ion-Stute und ihres Fohlens. Bei Laetoli in Nord-Tansania haben sich in zunächst nasser, dann steinhart verfestigter Vulkan-Asche nämlich deutlich erkennbar die Abdrücke ihrer Extremitäten erhalten. Da in der gleichen Gegend auf dem selben Untergrund auch genauso alte Fußspuren vom Australopithecus afarensis, eines zum aufrechten Gang fähigen Vormenschen gefunden wurden, kann man davon ausgehen, daß in den Savannen Afrikas die ersten Begegnungen früher Formen von Pferd und Mensch stattgefunden haben.

prähistorische Darstellung von Pferden

Bildquelle: J. L. Franzen, „Die Urpferde der Morgenröte“.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Evolution bereits an die endgültige Entstehung des Pferdes gemacht. In Nordamerika waren vor rund 5 Millionen Jahren nämlich wieder einmal verbesserte Modelle der equinen Vorfahren auf den Plan getreten: Astrohippus, Pliohippus
und Dinohippus. Sie gingen auf den Merychippus zurück und leiteten das letzte Kapitel dieses Bravourstücks der Evolution ein. Denn bei jedem von ihnen fielen zeitgleich die seitlichen Zehen weg, womit der finale Schritt zum Einhufer erfolgte. Der Wechsel des Lebensraumes vom Wald zur Steppe hatte die Tiere bereits lange Zeit immer mehr auf freies, übersichtliches Gelände geführt. Nun mußte Freßfeinden und allen möglichen Gefahren durch schnelle und weite Flucht auf einem wesentlich anderen Untergrund als zuvor entgangen werden. Die dazu nötige Laufgeschwindigkeit führte nach und nach zur Vergrößerung der mittleren Zehe als hauptsächlichen Trägerin des Gewichts. Gleichzeitig bildeten sich die übrigen Zehen zurück und fielen als entbehrliche Altlast schließlich ganz weg, da die Mehrzehigkeit auf dem härteren Steppenboden als ehemaliger Schutz vor dem Einsinken nicht mehr erforderlich war. Diesen Vorgang nutzte allerdings nur der 1,25m große Dinohippus. Aus ihm begann sich vor etwa vier Millionen Jahren neben dem bis in die Nacheiszeit im südamerikanischen Patagonien lebenden Hippidion sowie dem Plesippus und Allohippus nämlich die Gattung Equus zu entwickeln – die seit mindestens zwei Millionen Jahren existiert! Aus dem ehemaligen Busch-Schlüpfer war nun endlich ein hochspezialisiertes Lauftier und zusammen mit Eseln, Halbeseln und Zebras der einzige Einhufer der Fauna geworden. Als erstes solcher Tiere machte sich vor 2,5 Millionen Jahren übrigens der Allohippus als Vorposten des echten Pferdes von Nordamerika über Asien auf den Weg nach Europa.

prähistorische Darstellung von Pferden

Köpfe von Pferden aus der südfranzösischen Grotte Chauvet, deren Tier-Darstellungen mit einem Alter von 32 000 Jahren die ältesten aller bekannten Höhlen-Malereien sind.

Bildquelle: Ministerium der Republik Frankreich für Kultur und Kommunikation, Region Rhone-Alpes, Abt. Archäologie.

Holterdiepolter ging es also nicht, bis das Pferd nach einer gewaltigen Rosskur von mehr als 50 Millionen Jahren fertig war – und gleichzeitig zum Parade-Beispiel der Evolution wurde. Denn seine durch viele Winkelzüge und Irrwege sehr kompliziert und verzweigt – also alles andere als linear zustande gekommene Ahnenreihe – ist als zeitlich und typmäßig nahezu kontinuierliche Folge die vollständigste aller Säugetiere! Zusammenfassend betrachtet, ist ihre Entstehung mit den immer wieder erfolgten Häutungen der Vorfahren des Pferdes während ihrer Wanderungen durch Zeiten und Räume den jeweiligen Umwelt-Veränderungen zu verdanken – wobei die verschiedenen Entwicklungs-Trends auch immer dem Ökonomie-Prinzip im Sinne einer Verbesserung der Energie-Bilanz in Bezug zu den Leistungs-Anforderungen der jeweiligen Lebensräume folgten.

Vom Hyracotherium und seinen Nachfahren erzählen nach ihrem Aussterben nur noch verwitterte Knochen. Das echte Pferd aber überlebte – auch in Nordamerika, bis es dort in der Nacheiszeit ungefähr 6.000 v. Chr. zusammen mit anderen Tieren, wie beispielsweise dem Mammut, ebenfalls von der Bildfläche verschwand. Warum das geschah, ist unklar. Weshalb es bis dahin in einem allgemein als Eiswüste angesehenen Lebensraum mit anderen Vertretern des Tierreichs existieren konnte, wissen wir dagegen. Nach dem Beginn der Eiszeit vor 1,8 Millionen Jahren bestand nämlich auch der hohe Norden Amerikas nicht nur aus eisstarrenden, lebensfeindlichen Regionen. Die Gletscher hatten sich zwar überall auf der Erde nach Süden vorgeschoben und reichten in der Neuen Welt weit in das Gebiet der heutigen USA – banden aber so ungeheuer viel Wasser, daß der Meeresspiegel in den Zeiten der größten Vereisung bis zu 125 Meter tiefer lag als jetzt! Deshalb fiel die Beringstraße zwischen Alaska und Ost-Sibirien während der auf Wärme-Perioden folgenden Kalt-Zeiten mehrmals trocken und wurde dadurch zu einer Landbrücke. Sie gehörte zu einem ebenfalls aus den Fluten aufgetauchten terrestrischen Gebiet namens Beringia, das in seiner größten Ausdehnung 34 Millionen Quadrat-Kilometer umfaßte, sich vom Mackenzie im Osten bis zur Lena im Westen erstreckte und auch einen Teil des Nordpolar-Meeres einschloß. Es war weitestgehend eisfrei und erstaunlich lebensfreundlich; denn trotz des Charakters einer arktischen Tundra oder Mammut-Steppe, besaß die riesige Fläche ein hochproduktives Ökosystem auf der Basis einer reichhaltigen Graslandschaft. Wie sich ihre Pflanzen-Gesellschaft zusammensetzte, beschrieben kanadische Wissenschaftler 2003 im Fachmagazin „Nature“. In Alaska hatten sie in einem 24.000 Jahre alten Nagetier-Nest und im Magen eines gefrorenen Pferde-Kadavers Blätter, Blüten und Samen von Rispengräsern, Seggen und Binsen gefunden. Hinzu kamen Beifuß, Mohn, Fingerkraut und Hahnenfuß sowie weitere Kräuter. Beringia muß demnach ein regelrechter Garten Eden gewesen sein, der unzähligen Tieren Nahrung in Hülle und Fülle bot. Durch diesen paradiesischen Lebensraum galoppierten auch die ersten wirklichen Pferde. Vor etwa 20.000 Jahren sind sie dabei sicherlich auch seltsamen Wesen begegnet, die sich auf zwei Beinen fortbewegten. Die als Wanderburschen bis nach Europa gelangten Artgenossen waren bereits sehr viel früher, ungefähr vor 40.000 Jahren, auf den Menschen gestoßen – der mit dem Pferd durch die damals noch in ferner Zukunft liegende Domestikation schließlich eine jahrtausendelang währende Schicksals-Gemeinschaft einging.

Die Haustierwerdung von Wildtieren ist ein faszinierendes Kapitel unserer Geschichte und wird auch als das „älteste biologische Experiment“ der Menschheit bezeichnet. Der Wolf war der erste, der dazu seinen Beitrag lieferte. Denn was heute in mehr als 400 Rassen als canis familiaris an allen Ecken das Bein hebt, stammt von ihm ab. Danach folgten Schaf, Ziege, Schwein und Rind – und erst relativ spät das Pferd. Wie alles, was in prähistorischer Zeit geschah, ist uns Heutigen auch dieser Vorgang exakt nach Tag und Jahr nicht bekannt. Lange glaubte man, daß die Domestikation der Gattung Equus etwa 3.500 oder möglicherweise schon um 4.000 v. Chr. begonnen hätte. Nun muß diese grundlegende Veränderung im Dasein der Pferde jedoch wesentlich früher datiert werden. Auf mindestens  5.000 v. Chr. nämlich! Kein Mensch hat diese Zahl in Stein gemeisselt. Daß wir sie trotzdem kennen, ist der Molekular-Biologie als ungemein wichtigen und erfolgreichen Begleiterin der paläontologischen Forschung zu verdanken – wobei sie als Hightec-Wissenschaft bekanntlich nicht die Erdschichten des Bodens durchsiebt, sondern in den Genen auf Spurensuche geht.

prähistorische Darstellung von Pferden

Stellen solche ausdrucksstarken Bilder aus der Morgenröte der Kunst die Beschwörung für eine erfolgreiche Jagd dar? Sollte mit ihnen der Geist des getöteten Tieres um Verzeihung gebeten werden? Oder wollte man lediglich künstlerische Ambitionen ausleben? Möglich sind mehrere Deutungen.

Bildquelle: Ministerium der Republik Frankreich für Kultur und Kommunikation, Region Rhone-Alpes, Abt. Archäologie.

Die als DNA bezeichnete Erbsubtanz kann heute aus allen kernhaltigen Zellen gewonnen werden – auch wenn die dazugehörigen Lebewesen bereits sehr lange tot sind. Daher war es einem deutschspanisches Forscherteam im April 2009 durch molekular-genetische Analysen an fossilen Pferdeknochen möglich, acht Mutationen von sechs bekannten Farb-Genen nachzuweisen. Bei eiszeitlichen Knochenfunden von Wildpferden aus Sibirien, Ost- und Mitteleuropa sowie der Iberischen Halbinsel, Skeletten oder Skelettresten von Tieren also, die vor mindestens 10.000 oder 12.000 Jahren lebten, wurden freilich keine Farb-Variationen festgestellt. Ihr Fell zeigt mit dem gelblichen oder rötlichen Braun einheitlich die ursprüngliche Farbe des Pferdes, die durch die beeindruckend lebensechten, mit hohem künstlerischen Sinn ausgeführten Malereien aus den Höhlen-Ateliers der Steinzeit bekannt ist. Nach dem Rückgang des Eises vor etwa 10.000 Jahren wird es allerdings interessant. Denn zwischen 8.000 und 5.000 v. Chr. sollen nach den Erkenntnissen der Wissenschaftler zum ersten Mal schwarze Pferde aufgetreten sein, deren Erscheinen man auf die Anpassung an die fortschreitende Zunahme von Wäldern zurückführt. Um 5 000 v. Chr. gibt es in Sibirien schließlich schon Füchse und erstaunlicherweise auch Sabino´s, Pferde mit typischen Scheck-Muster. Danach explodiert beim prähistorischen Equus die Farbskala der Fellfärbung förmlich bis hin zum Tobiano, dem Platten-Schecken – was zweifellos durch menschliche Einwirkung auf die Wildpferde-Populationen geschehen ist.

prähistorische Darstellung von Pferden

Vergleichende Darstellung der Fußskelette des dreizehigen HIPPARIONS und eines modernen Pferdes. Das HIPPARION spielt in der zum equus führenden Entwicklungs-Linie allerdings nur eine Nebenrolle.

Bildquelle: W. Rosendahl, „Pferdestärken / Das Pferd bewegt die Menschheit“

Hunderttausende von Jahren waren Pferde für den Menschen und seine Vorläufer nur Fleischlieferanten. Man lauerte ihnen an allen möglichen Orten auf und jagte sie mit ferntreffenden Waffen. In der Jungsteinzeit kam es durch die „neolithische Revolution“ jedoch zu einer gravierenden Änderung der Lebensumstände des Homo sapiens.Der bisher frei umherstreifende Jäger und Sammler war seßhaft geworden, erfand als ehemaliger Vagabund die Landwirtschaft, bestellte die Erde mit Kulturpflanzen und züchtete Vieh nach seinen Vorstellungen. Dabei wurde im Rahmen der ersten Wohlstandsgesellschaft auch das Pferd als Haustier gehalten. Die Archäologen gehen davon aus, daß die ersten Zähmungsversuche in den Steppen Eurasiens vor sich gingen. Im Laufe der Zeit müssen Wildpferde aber auch an anderen und weit auseinanderliegenden Plätzen domestiziert worden sein. Denn es ist sehr unwahrscheinlich, daß die Haustierwerdung des Pferdes nur an einem Ort stattgefunden hat. Für diese Annahme ist erneut die Molekular-Biologie verantwortlich. Mit ihrer Hilfe wurde nämlich errechnet, daß zur heutigen Variabilität der Pferde mindestens 77 Stuten beigetragen haben. Tatsächlich sind es aber wohl viel mehr gewesen. Ein eigenständiges Domestikationszentrum soll übrigens auch der Alpenraum gewesen sein. Dort und im übrigen Mitteleuropa treten Hauspferde jedoch frühestens um 3.000 v. Chr. auf. Dagegen sind sie in Westeuropa um diese Zeit und auch in der ersten Hälfte des dritten Jahrtausends noch selten.

prähistorische Darstellung von Pferden

Rekonstruiertes Skelett des großen EQUUS MOSBACHENSIS, das in den Ur-Rhein-Ablagerungen von Mosbach bei Wiesbaden gefunden wurde. Es gehört zu den Exponaten des Naturhistorischen Museums in Mainz.

Bildquelle: Naturhistorisches Museum Mainz

Domestikation bedeutet Fang und Zähmung eines Wildtieres mit anschließender gezielter Zuchtwahl, bis aus ihm ein Haustier geworden ist. Sie vererbt sich durch die Veränderung der genetischen Grundlage als Folge von Mutation und Selektion. Mit welchen Methoden sie im weiten Areal des Wildpferdes vor sich ging, können wir nur vermuten. Warum sie stattfand, scheint dagegen weitgehend klar zu sein. Durch die nacheiszeitliche Klimaerwärmung und der darauf folgenden Umweltveränderung, war das Leben für den Menschen nach und nach leichter geworden, wodurch seine Zahl zunahm. Um sich ernähren zu können, mußte er immer stärker in die Wildtier-Populationen eingreifen, die sich im Laufe der Zeit jedoch derart verringerten, daß die Jagd den Fleischbedarf irgendwann nicht mehr decken konnte. Der seßhaft gewordene Mensch beugte sich den ökologischen Zwängen jedoch nicht, sondern dachte nach – und pferchte Wildtiere nach einem Geistesblitz der besonderen Art ein, um sie bei Bedarf schlachten zu können.

Bei einem Tier mit so exzellent ausgebildeten Sinnesorganen und der ständigen Bereitschaft zu schneller Flucht wie dem Wildpferd, wird er mit Sicherheit große Mühe gehabt haben, es unter seine Einflußnahme zu bringen. Wie hat er es trotzdem geschafft? Hat er eine Herde mit List und Geduld in eine geeignete, zuvor ausgewählte Geländeformation gebracht und deren einzigen Ausweg versperrt? Oder ist der erste Schritt zur Domestikation über geschwächte oder verletzte Jungtiere erfolgt? So einen Vorgang beschreibt die Französin Jean Marie Auel nämlich in einem ihrer Steinzeitromane. In ihm heilt eine junge Frau erst das gebrochene Bein eines Stutfohlens und zieht es dann auf. Als die Rosse eintritt, wird  es von einem Hengst aus einer in  der Nähe weidenden Herde beschlagen. Wer über eine gute Mischung aus Phantasie und Realitätssinn verfügt, kann sich leicht  ausmalen wie das weiter gegangen sein kann. Aber welche Methoden bei der Domestizierung auch angewendet wurden: der Mensch kam jedenfalls ans Ziel – und wird dabei gleichzeitig festgestellt haben, daß es gar nicht so einfach ist, mehrere oder gar viele Pferde in Gewahrsam zu halten. Erstaunt mußte er schließlich auch bemerken, daß sie nach einiger Zeit kleiner wurden. Denn die Größenreduktion war einer der wesentlichsten Domestikations-Effekte. Hinzu kam eine Veränderung des Verhaltens und der Fellfärbung. Denn es herrschte nicht mehr die unnachsichtige Selektion der Natur, die farbig auffallende Mutanten in freier Wildbahn regelmäßig ausgemerzt hatte.

Zuerst hat der Mensch sicherlich für eine mengenmäßige Zunahme der Herden gesorgt, um sie ohne wesentliche Bestandsminderung als Fleischlieferanten nutzen zu können. Knochenfunde aus dem Steppengebiet nördlich des Schwarzen Meeres aus der Zeit um 4.000 v. Chr. weisen darauf hin, daß es vor allem Hengste waren, die daran glauben mußten. Stuten wurden als Zuwachsträger offensichtlich geschont. Als Milchquelle waren sie aber sicherlich willkommen. Daß sich das neue Haustier bestens zu schnellerer Fortbewegung eignete, blieb wohl auch nicht lange verborgen – und könnte sogar ein weiterer Grund für seine Domestikation gewesen sein. Lange war man übrigens der Meinung, daß es zuerst als Zugtier verwendet wurde. Mittlerweile hat jedoch ein Umdenken eingesetzt, das dem Reiten den Vorzug gibt. Die Haltung einer Herde so schneller Tiere setzt das ja eigentlich voraus. Jedenfalls wird sich irgendwo und irgendwann ein wagemutiger Bursche auf den Rücken eines Pferdes geschwungen und damit eine neue Ära in der Geschichte des Menschen eingeleitet haben. Zu welcher Zeit, von wem und in welchem geographischen Raum dieser fundamentale Akt unserer Historie stattfand, entzieht sich dem forschenden Blick und wird ebenso im Dunkel der Geschichte verborgen bleiben wie die jeweiligen Methoden und das genaue Datum der Domestikation – die man getrost als eine Großtat des Menschen bezeichnen kann.

prähistorische Darstellung von Pferden

Das Przewalski-Pferd ist das letzte, noch existierende Wildpferd. Es stammt aus der Mongolei, wo es in der zweiten Hälfte des vergangenen Jh. ausstarb. Heute wird es an vielen Orten der Welt in Zoologischen Gärten gehalten. Vor einigen Jahren wurde es durch Auswilderung wieder in seine ursprüngliche Heimat gebracht.

Im Dunklen tappen wir auch, wenn es um die Frage geht, wer der direkte Vorfahr des Equus caballus ist. Zunächst schien ihre Beantwortung allerdings einfach zu sein. Denn in den Höhlen von Lascaux, Pech Merle und Chauvet sowie anderen Stätten der steinzeitlichen Kunst, haben frühe Picasso´s Equiden an die Wände gemalt, die offensichtlich haargenau dem Equus przewalsk i gleichen. Es ist vor allem die farbige Ausführung der Abbildungen in hellbraunen, rötlichen, gelben, weißlichen und schwarzen Tönen, die eine frappierende Ähnlichkeit mit dem Pferd vermittelt, das als letzter echter Wildling in Zoologischen Gärten überlebt hat. Auch die aus dem Schutt der Jahrtausende gesiebten, aus Knochen und Elfenbein geschnitzten Figürchen zeigen meistens ein Tier mit klobigem Kopf, Stehmähne und schwerem Leib. Aber war es tatsächlich jener, vom russischen Forschungsreisenden Nikolai Michailowitsch Przewalski 1879 in der Mongolei entdeckte Equus , der in den ersten Gemäldegalerien der Menschheit prangt? Lange Zeit glaubte man jedenfalls, daß er der unmittelbare Ahn der domestizierten Pferde wäre – und befand sich doch auf dem Holzweg. Denn das Przewalsk i-Pferd besitzt 66 Chromosomen, das Hauspferd dagegen nur 64. Außerdem fand man heraus, daß die genetische Trennung der beiden vor ungefähr 120.000 bis 240.000 Jahren erfolgte. Da der in diesem Zusammenhang oft zitierte Tarpan wohl auch keine Rolle spielt, erhebt sich also die Frage, welches Pferd der gesuchte Vorfahr dann ist? Nach jetziger Anschauung gilt das Equus mosbachens is als  stammesgeschichtliche Wurzel des heutigen Pferdes, da es die älteste europäische Art darstellt, die dafür in Frage kommt. Der ungewöhnlich große Vertreter der Equiden – bei dem es sich offenbar um einen Einwanderer aus Nordamerika handelt – lebte vor ungefähr 500.000 Jahren im Pleistozän und war damals in Mitteleuropa weit verbreitet. Aus ihm gingen im ausgehenden Eiszeitalter schließlich Wildpferdeformen hervor, die unter dem Namen Equus gallicus oder Equus germanicus zusammengefaßt werden können. Wie eben festgestellt, ist uns ihr Aussehen durch die Höhlenbilder der Steinzeit bekannt. Ob sich in dieser Gruppe der missing link der Ahnenreihe des Equus caballus mit dem entscheidenden Hinweis auf seine jüngere Vergangenheit versteckt, kann jedoch kaum mehr rekonstruiert werden.

Daher ist zu befürchten, daß auch noch so präzise ausgearbeitete Wanderkarten aus den Genlabors nicht ans Ziel führen werden. Das ist schade – und eine herbe Enttäuschung für all diejenigen, die von einer besonders virulenten Form hippologischer Neugier befallen sind.

Literaturverzeichnis

Dr. J. L. Franzen
Die Urpferde der Morgenröte
Elsevier GmbH, München, 2007
A.Basche

Geschichte des Pferdes
Sigloch Edition, Künzelsau, 1984
A. Wieczorek / M. Tellenbach
Pferdestärken
Reiss-Engelhorn Museen, Mannheim
+ Verlag Ph. V. Zabern, Mainz, 2007

Dr. D. Druml
Pferde Revue, 1 2010
Pferde-Verlags GmbH, Wien
R. H. Latussek
Welt am Sonntag, Nr. 23, 8. 6. 2003

 

Mit freundlicher Genehmigung des Wu Wei Verlag e.K.

Wu Wei Verlag